Bernd Begemann

Bernd Begemann & Kai Dorenkamp (Piano) - Die Stadt und das Mädchen

VÖ: 19.01.2018 via popup-records

Wie setzt  man  eigentlich  nochmal  einen  drauf,  wenn  man zuletzt bereits eine Art opus magnum mit 28 Titeln  auf  einer  Doppel-LP,  mit  diversen  Gaststars  in  einem  halben  Dutzend  Videos  und  mit  überbordenden  Lobpreisungen  durch  die  Musikpresse  veröffentlicht  hat?  Bernd  Begemanns  einfache  Antwort  ist:  Gar  nicht.  Stattdessen  zeigt  Begemann mit  seinem  neuen  Album  Mut  zum  Minimalismus:  Kein  Chor,  keine  reiche  Instrumentierung,  kein  aufwendiges  Arrangement  – nur  Bernds Stimme und das Klavierspiel von Kai Dorenkamp  (Keyboarder  bei  Die  Befreiung).  „Die  Stadt  und  das  Mädchen“ ist dabei gewissermaßen ein Konzeptalbum: 

Alles  folgt  dem  großen  inhaltlichen  Thema  des  Aufbrechen,  Weggehen,  Fremdsein,  Alleinsein, Neuanfangen aus der Sicht einer jungen Frau. Songs aus drei Jahrzehnten musikalischen  Schaffens hat Bernd Begemann dafür ausgewählt und in minimalistischer Fassung in Anlehnung an die klassisch-romantische Form des Liederzyklus neu arrangiert.

Trotz (oder gerade wegen) des sich bei diesem Gedanken unweigerlich aufdrängenden Bildes  von Bernd Begemann, wie er sich – ganz der ewige Bühnen-Entertainer – im silbrigen Frack  lasziv am Piano lehnt: Bernd Begemann ironisiert die klassische Form nicht, sondern kokettiert gekonnt mit ihr, um den zwölf Songs großes Format im neuen, abgespeckten Gewand zu  geben. Intimer, direkter, fokussierter wirken die Lieder und bilden das breite Begemannsche  Spektrum zwischen Hamburger Schule, schlageresken Anleihen und lupenreinem Pop in ganz  neuer Form ab. Und auch inhaltlich gelingt die Gratwanderung von bedrückend ernsten Stü- cken („Die Nacht vor der Abtreibung“) bis zu ironisch-beobachtenden Songs („Vielleicht hatten deine Eltern recht“).

Stimme und Text rücken dabei unwillkürlich noch mehr in den Mittelpunkt, heben den lyrischen Charakter der ursprünglichen Popsongs hervor. So ist es wohl auch nur folgerichtig, an  dieser Stelle Benjamin Lebert, seines Zeichens Autor (u.a. Crazy) mit seinen Eindrücken zum  Liederzyklus zu Wort kommen zu lassen:

„Bernd Begemanns Album ‚Die Stadt und das Mädchen‘ ist Nostalgie in Ebenholz und Elfenbein. Und noch weitaus mehr als das. Wie Laternenschein stets etwas Anachronistisches hat,  obwohl er den Asphalt unserer Gegenwart bescheint, so durchdringen diese nur mit Gesang  und Klavier dargebrachten Lieder unsere Nacht, lösen Bilder aus dem Dunkel. Bilder und Geschichten, die tief berühren, verzaubern. Von tastenden Hoffnungen, von Schnellstraßen, die  dem fliehenden Horizont nachjagen, von dem engen Bewegungsraum unserer Entscheidungen. Die Geschichten streifen einander mit der dringlichen Zärtlichkeit, die sich nur Fremde  entgegenbringen können. Fremde, die sich für wenige Herzschläge lang im Auge des Anderen  wiedererkennen.

Die zwölf Lieder auf diesem Album sind allerdings keine Fremde, sondern gewissermaßen  neue Bekannte. Sie stammen aus dreißig Jahren, in denen sich Bernd Begemann immer wieder als ausgezeichneter Musiker und Chronist erwiesen hat. Sie sind mit Bedacht ausgewählt  und neu eingespielt worden.  Bernd Begemanns Gesang kommt im besten Sinne der Empfindung einer Erinnerung gleich:  der Erinnerung an all das, was unser Leben - ungeachtet unserer eigenen Einflüsterungen - wirklich ausmacht. Eine Erinnerung, ohne die wir vielleicht nicht bestehen können in den gnadenlos alten, gnadenlos neuen Gefilden, die uns dort draußen erwarten.“

Kurz gesagt: "Die Stadt und das Mädchen" ist ein romantischer Liederzyklus, aber er erzählt keine Liebesgeschichte. Angelehnt an klassische Werke des 19. Jahrhunderts wie "Die schöne Müllerin" oder "Die Winterreise“ geht es um etwas sehr Modernes: die Großstadt, was sie uns machen lässt und was sie aus uns macht. In einem kühnen künstlerischen Schritt bündelt Bernd Begemann zusammen mit dem Ausnahmepianisten Kai Dorenkamp seine Lieder zu einem Epos um Ehrgeiz, Enttäuschung und Triumph. Musikalische Echos von Pop und Operette mischen sich mit dem verwehten Geist von Hermann Prey wenn wir einer unerschrockenen Heldin durch die Strophen, Refrains und gnadenlosen Straßen folgen. Ein Leben mutig gelebt, das Drama einer Frau, die an ihre Grenzen stößt in 12 Liedern, das ist "Die Stadt und das Mädchen".

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