August August – „Liebe in Zeiten des Neoliberalismus‟
VÖ: 25.02.2022 via popup-records
Wie prägt das Politische unsere privaten Beziehungen? Warum bestimmt immer die Mehrheit, was als normal gilt? Und wohin mit der Wut, Trauer und Ohnmacht angesichts all der Schieflagen in unserer Gesellschaft? Das Indie-Duo August August stellt Fragen. Klug und komplex, äußerst zeitgemäß und unbedingt mitreißend. „Liebe in Zeiten des Neoliberalismus‟ – mit dem Titel ihres zweiten Albums machen Kathrin Ost und David Hirst überdeutlich klar, was sie alles in ihrer Musik kanalisieren: Leidenschaft, Tiefgang, Kritik. Seichte Befindlichkeitsstudien sind ihre Sache nicht.
Kathrin Ost ist mit dem Alternative-Sound der 90er-Jahre aufgewachsen. „Daran sind meine älteren Geschwister schuld, die mir schon als Siebenjährige Nirvana- und Smashing Pumpkins-Alben in die Hand gedrückt haben‟, erzählt die Hamburger Musikerin, die bei August August singt und Bass spielt. Der Berliner Gitarrist und Produzent David Hirst wiederum liebt Folkmusik und die Fingerstyle- Ästhetik eines Andy McKee. Sozialisiert wurde er zudem mit dem ausgefeilten Songwriting von britischen Bands wie Fink und Oasis. Ihre popkulturellen Welten vereinen die beiden nun in Songs, die die Facetten des Gitarrenpop spannungsgeladen und zugleich ungemein eingängig ausloten.
„Wahnsinn‟ beispielsweise entfaltet einen epischen Drive, wie er auch bei den US- Rockern The War On Drugs zu erleben ist. August August verhandelt in dem Song die Frage nach der mentalen Gesundheit in einem kranken System. „Ob nun die Schere zwischen Arm und Reich oder der Gender Pay Gap – wenn ich mir die gesellschaftliche Ordnung anschaue, verstehe ich diejenigen, die aufgrund dieser Missstände verrückt werden‟, erklärt Kathrin Ost. Die Musikerin, die zudem als Schauspielerin für TV und Theater arbeitet, kniet sich gerne tief hinein in die Zusammenhänge. Und mit dem Deutsch-Briten David Hirst hat sie einen künstlerischen Komplizen gefunden, mit dem sie ihre Inhalte intuitiv umsetzen kann.
„Unsere Kommunikation beginnt meistens mit der Gitarre‟, erzählt David Hirst, der an der Goldsmiths University of London Musik studiert hat. „Ich stimme das Instrument so um, dass es weniger traditionell klingt, dass es mehr in einer Stimmung schwebt und eine schöne Ambivalenz entsteht.‟ Kathrin Ost komponiert ebenfalls auf der Gitarre. „An dem Instrument bin ich autodidaktisch unterwegs und ich kann es vollkommen intuitiv zum Schreiben nutzen“. In diese klanglichen Atmosphären legt sie ihre Texte. Dass sich beim Hören unmittelbar assoziative Räume eröffnen, liegt zum einen an den detailreichen wie transparenten Arrangements und zum anderen an den starken Lyrics. „Ich entwerfe häufig offene Bilder‟, sagt Kathrin Ost. „Es soll noch Raum bleiben für die Bezüge der Hörerinnen und Hörer.“
„Bild von uns beiden‟ vermittelt eindrucksvoll, wie August August unsere Existenz und all die damit verbundenen Eskapaden in Miniaturen zu verdichten versteht. Die ruhig perlende Nummer ist inspiriert von einem Foto, das Kathrin Osts Eltern am Strand von Dänemark zeigt. „Meine Mutter strahlt und alles sieht nach dem perfekten Urlaubsfoto aus. Mein Vater aber zieht eine Grimasse. Als könne er dieses Glück nicht aushalten.‟ Was Leute aus Liebe tun, welche Marotten sie pflegen und Volten sie schlagen, das beobachtet Kathrin Ost gerne stundenlang. „Für Menschen ist es wichtig, sich gesehen zu fühlen. Aber das findet in unserer funktionsfixierten Welt oftmals nicht statt. Daher möchte ich das Gesehenwerden in unsere Songs legen.‟
Sichtbar- und Eigenständigkeit ist August August auch innerhalb der Popbranche immens wichtig. Daher engagiert sich Kathrin Ost für das Netzwerk Music Women Germany. „Role Models sind wichtig. Wer weiß, ob ich ohne Vorbilder wie Courtney Love mit Hole oder die Bassistin D’arcy Wretzki, die ich als ganz kleines Mädchen gesehen habe, heute überhaupt Musikerin wäre.“ Mit der Hamburger Plattenfirma popup-records hat sich das Duo für einen Partner entschieden, der ihnen künstlerische Freiheit bietet. Das Debütalbum „Sag du‟ hatte August August 2016 noch im Selbstverlag herausgebracht. Das Video zu ihrer Single „Deine Freunde ‟ entstand 2020 in Eigenregie als halb ausgeklügelter, halb improvisierter One-Shot. „Wir kommen aus der Do-It-Yourself-Kultur‟, sagt David Hirst. „Für mich bedeutet Musikmachen nach wie vor, gemeinsam im Proberaum kreativ zu sein und nicht, dass 30 Leute in Songwritingteams überlegen, wie sie das Wort Liebe umschreiben können. Wir sind Künstler, keine Werbeagentur.‟
Um nicht auf programmierte Sounds zurückgreifen zu müssen, komplettiert Schlagzeuger Leo Binas das Bandsetting für Aufnahmen und Auftritte ebenso wie Gitarrist Gregor Sonnenberg, der das aktuelle Album als sein Alter Ego Monti in seinem Hamburger Studio auch produziert hat. „David, Leo und Gregor sind sehr feministische Musiker, die einer Künstlerin wie mir auf Augenhöhe begegnen. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit ‟, sagt Kathrin Ost, für die das Bassspielen auch ein emanzipatorischer Akt ist. Als Kind lernte sie zehn Jahre klassisches Klavier. Doch im Bandkontext einfach ans Keyboard zu wechseln, reizte sie nicht. „Am Bass liebe ich es total, die Power im ganzen Körper zu spüren. Deshalb habe ich für Konzerte auch immer die allergrößte Bassbox dabei. Der Sound soll in alle Knochen gehen. ‟
Zu erleben ist der Wumms von August August beispielsweise in dem Song „Kaputt + Kein Hunger‟. Wunderbar slackernd beschwört das Duo da den Geist von Grunge und Riot Grrrl-Bewegung. Und Sprache sowie Stimme verschränken sich in schönster spröder Allianz mit dem Bandsound. Wie viel Haltung und wahrhaftige Poesie deutschsprachiger Pop heutzutage transportieren kann, beweist auch die eindringliche Nummer „Man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat‟, die von der Erschöpfung im Kapitalismus erzählt. Beim Song „Phase‟ wiederum weht mit Fragmenten eines Telefongesprächs das Leben beiläufig zur driftenden Gitarre herein. Mit wütender Zärtlichkeit besingt Kathrin Ost das Gefühl, immer nur vom Rand aus in das Geschehen hineinzurufen und nie wirklich gehört zu werden. Ihr Fazit: „Das ist wie eine Rede auf der Autobahn zu halten‟. Eine fulminante Ode an die Frustration, wie zäh sich die Verhältnisse ändern.
Die Dinge aus einer durchaus skeptischen Außenseiterposition zu beobachten, ist bereits in ihrem Bandnamen angelegt. August August ist eine Figur, die in „Der Fluch des Rubins ‟, einer frühen Folge von „Die drei ???‟, zu den jungen Detektiven stößt. „August August ist ein Typ, der nur temporär dabei ist und die Lage eher aus der Distanz betrachtet. Ich habe mich auch lange nicht als Heldin in der ersten Reihe gesehen‟, erzählt Kathrin Ost. Doch zunehmend gerät sie ins Handeln. Über ihre Worte, über die Musik. Gemeinsam mit David Hirst versteht sie ihre Kunst als Weg, Dialoge anzustoßen. Mit einem zutiefst humanistischen Grundverständnis verhandelt August August, wie das neoliberale Hamsterrad unser Leben heiß- und leerlaufen lässt. Zugleich bringt das Duo jene Momente und Phasen zum Leuchten, die sich jeglicher Verwertungslogik entziehen. In denen eine Art von Freiheit möglich scheint.
Titel | Ort | Datum | Preis | ||
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